Beratung

„Meine Tochter will nicht mitkommen, sie sagt, sie ist ja nicht irre und braucht keinen Psychiater“, berichten oft besorgte Eltern, die sich eigentlich wünschen, dass ihre offensichtlich belasteten Töchter oder Söhne eine Beratung in Anspruch nehmen. Oft lassen sich die Jugendlichen dafür gewinnen, wenn sie erfahren, dass es bei uns  gar keine Psychiater gibt und man auch nicht seelisch krank sein muss, um zu kommen. Aber wenn man nicht weiß, wie man den Computer bedienen muss, fragt man doch auch jemanden, der sich damit auskennt, oder?! Und wer weiß schon, wie man mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ umgeht.

Wildwasser arbeitet beraterisch und hat keinen therapeutischen Auftrag. Im Gegensatz zur Therapie, die einen selbstreflexiven, heilenden Schwerpunkt hat, steht in der Beratung die Lösung von Problemen im Fokus. Im Falle der Beratungsstelle Wildwasser geht es um die Umgehensweise mit sexuellem Missbrauch.

Die Manipulation des Täters/der Täterin sowie das Ausnutzen des Vertrauens von allen Beteiligten (familiäres Umfeld) und die dadurch entstehenden emotionalen Konflikte haben negative Auswirkungen auf das Beziehungssystem der Betroffenen, insbesondere in der Familie. Die KlientInnen erarbeiten sich die Erkenntnis über die Struktur der Gewalt und die eigenen Möglichkeiten, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Von Wildwasser werden sie dabei unter anderem mit Wissen zu verschiedenen Bereichen wie z.B. der Funktionsweise von Gewalt, Täterstrategien, Trauma-(folgen) oder dem Ablauf juristischer Verfahren unterstützt. Für eine Beratung ist es daher nie zu spät, denn in der Beratung geht es immer um das Hier und Jetzt und die schrittweise Lösung von aktuellen Problemen.

Lukas, 9 Jahre, saß still und ziemlich verschüchtert im Sessel der Beratungsstelle. Seine Mutter hatte ihn in die Beratungsstelle gebracht, weil sie pornografische Bilder auf seinem Handy gefunden hatte, die ihm ein erwachsener Mann zugesendet hatte. Der Mann hatte Lukas auch aufgefordert, ihm Nacktbilder von sich zu schicken. Lukas Mutter war nun in heller Aufregung und großer Sorge, dass Lukas dies vielleicht getan habe, aber er gab ihr auf wiederholtes Nachfragen einfach keine Antwort. Nun saß er also hier im Beratungssessel und schaute starr vor sich hin, in der Erwartung, wie von seiner Mutter nun auch von der Beraterin mit Fragen bombardiert zu werden. Wie erleichtert war er da, als die Beraterin zu ihm sagte: „Lukas, Du musst mir nichts erzählen, wenn Du nicht willst. Du musst mir auch gar nicht vertrauen. Du darfst mich erst testen.“

Wir beginnen die Beratung mit Eltern und Kind gemeinsam. Zu Beginn erklären wir unsere Schweigepflicht: Die Informationen bleiben in unserer Beratungsstelle und in der Beratung. Das bedeutet, dass die Dinge, die das Kind erzählt hat, nicht einfach an die Eltern weiter gegeben werden, sondern mit dem Kind besprochen wird, welche Rückmeldung die Eltern bekommen sollen, und was sie vielleicht nur ganz allein mit ihrer Beraterin besprochen haben wollen und somit auch gegenüber den Eltern der Schweigepflicht unterliegt. Einzige Ausnahme von der Schweigepflicht sind Informationen über eine akute, gegenwärtig vorliegende Gefährdung des Kindes, bei der es immer notwendig ist, Schutz herzustellen. Darüber werden die Eltern (sofern von diesen in dem Moment nicht die Gefahr ausgeht, sodass über andere Schutzmaßnahmen nachgedacht werden muss) auch ohne Zustimmung des Kindes informiert.

In der Beratung fragen die Beraterinnen nicht nach den Details eines Missbrauchs. Wildwasser arbeitet nicht aufdeckend, sondern unterstützt die Eltern und die Kinder darin, selbst (wieder) offen miteinander sprechen zu können, oder ermutigt die Mädchen oder Jungen, der Polizei alles zu erzählen, damit sie geschützt werden können. Unser Auftrag ist es darüber hinaus, gemeinsam mit Lukas zu schauen, wie es ihm jetzt geht, was seine Fragen sind und was er braucht, um sich wieder besser zu fühlen.

Sexueller Missbrauch hat nicht nur für die betroffenen Kinder Folgen, sondern auch für ihre Eltern. Auch sie brauchen Unterstützung, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu klären, damit sie ihren Kindern eine gute Hilfe sein können. Fragen, die immer wieder kehren und die die Eltern am meisten quälen, drehen sich beispielsweise darum, warum sie die Übergriffe nicht bemerkt haben bzw. ob sie die Übergriffe insgesamt hätten verhindern können. Um diese eigenen Themen klären zu können, bekommen Eltern bei Wildwasser ihre eigene Beraterin. Dies gilt auch für mögliche andere Bezugspersonen, wie Geschwister, FreundInnen, PartnerInnen oder LehrerInnen, usw.